Das Jahr 1923 zitiert aus der Dorfchronik

Der Winter verlief recht mild. Starke Fröste traten überhaupt nicht auf. Die ganze Zeit war beinahe täglich von Regen und Nebel erfüllt, selten war die Witterung heiter. Auch das Frühjahr war regenreich zum Glück für die Aussaaten. Im April und Anfang Mai gab es viele trockene und warme Tage, sogar stärkere Gewitter traten auf. Die Aussaaten standen ziemlich gut und die Wiesen hatten einen guten Anwuchs. Aufgrund der insgesamt unbeständigen Witterung verspätete sich die doch gute Heuernte auf den Juli. Die Ernten  gestalteten sich alle infolge des nasskalten Frühjahrs und Vorsommers später als in früheren Jahren. Obst gab es mit Ausnahme der Zwetschgen wenig. Der Herbst war nasskalt, was die Winteraussaat verzögerte. Schon im Dezember wurde es winterlich mit einer geschlossenen Schneedecke bei mäßigem Frost.

Politisch kam es im Jahre 1923 zu gefährlichen Ereignissen für die noch junge Demokratie: Die Ruhrkrise, die Hyperinflation und der Hitlerputsch.

Das Wirtschaftszentrum Deutschlands, das Ruhrgebiet, wurde von den Franzosen besetzt. Es wurde nichts mehr produziert und die Regierung verlegte sich auf das Gelddrucken. So kostete Anfang des Jahres ein US Dollar circa 50.000 Papiermark (M). Ein Maurer verdiente 1.400 M pro Stunde. Ein Liter Milch kostete 300 M, ein Pfund Butter 4.200 M.

Die durch die Besatzung des Ruhrgebietes ausbleibende Kohle, wirkte sich negativ auf die Fabrikbetriebe aus. Bei Buderus in Wetzlar wurden viele Feierschichten eingelegt und die Ulmtaler Basaltwerke stellten sogar ihren Betrieb ganz ein, obwohl es eine gute Nachfrage nach Basalt gab. Die Furcht vor weiteren Betriebseinstellungen und Arbeitslosigkeit war groß.

Ab Mai erschienen Flüchtlinge aus den von den Franzosen besetzten Gebieten. Es handelte sich meist um ausgewiesene Eisenbahner und Beamte. Die Unterkunftssuche war sehr schwierig, da allenthalben Wohnungsnot herrschte. Die Franzosen waren bis Limburg vorgedrungen und drohten, ihre Besetzung bis Wetzlar/Gießen auszudehnen.

Die Gemeinden befanden sich in akuter Zahlungsnot, weil die Holzeinnahmen, die erst so gewaltig erschienen, schnell zusammengeschmolzen waren und die Buderus'schen Eisenwerke, um die Stromerzeugung aufrecht erhalten zu können, die Vorauszahlung des Lichtzinses in Höhe von 290 Millionen Papiermark verlangten. Der Ankauf einer Dreschmaschine in Holzhausen, der anfangs so teuer erschien, stellte innerhalb kürzester Zeit einen Milliardenwert dar. Der Dollarkurs stieg Anfang September auf 200 Mio. Mark.

Daher entschloss sich der Kreis infolge der Geldnot Notgeld zu drucken und auszugeben, das die Bilder der Burgen Greifenstein, Gleiberg und vom Schloß Braunfels trug.

Nichtsdestotrotz schritt die Geldentwertung ins Unermessliche. Anfang November 1923 stieg der US Dollarkurs auf 631 Milliarden Papiermark. Ein Ei kostete 300 Milliarden Mark, ein Pfund Butter zwei Billionen M.

Die Regierung unter Stresemann reagierte am 16.11.1923 mit der Ausgabe der Rentengoldmark im Verhältnis 1 Billion Papiermark = 1 Goldmark. Der Kurs zum US Dollar betrug 4,20 Goildmark. Das vom Kreis ausgegebene Notgeld wurde wieder eingezogen, da niemand mehr dies als Zahlungsmittel akzeptierte.

Der Chronist schrieb: „Hoffen wir auf eine gute Einsicht beim deutschen Volke und seinen Lenkern und auf eine große Wende zu seinem Wohle im Jahre 1924“.