Holzhausen im Wandel der Zeiten

Gefunden und aufgeschrieben von Heinrich Jung, bearbeitet und veröffentlicht von Joachim Kohl.

Es dürfte für viele Einwohner interessant sein zu erfahren, dass seit dem Jahre 1955 bis heute in Holzhausen acht Feste gefeiert wurden und somit auch acht Festschriften erschienen sind, in denen aus der Geschichte oder dem kulturellen Leben unseres Dorfes berichtet wurde. Da inzwischen eine neue Generation herangewachsen ist, die von der Festschrift des Jahres 1955 nichts weiß, ist es wohl richtig, wenn der damals wiedergegebene Gesamtüberblick über die Geschichte unseres Dorfes noch einmal und durch neue Erkenntnisse bereichert dargeboten wird.

Ich schrieb damals in der Einleitung: "Wer von Wetzlar oder Weilburg kommend, in Stockhausen in die Ulmtalbahn, den 'Balkan' umsteigt, kommt nach halbstündiger Fahrt nach Holzhausen. Vor ihm im Tal liegt das Dörfchen, in dessen Mitte der 28 m hohe Kirchturm herausragt. Daneben gewahrt er die 1951 erbaute, prächtige Schule. Saubere Dorfstraßen und viele ordentliche Bauernhöfe hinterlassen bei dem Besucher einen guten Eindruck."

Wenn wir diese damalige Einleitung mit den Tatsachen der Gegenwart vergleichen, können wir feststellen, dass sich allein in diesen 25 Jahren sehr viel gewandelt hat. Fast in allen Ställen, sie wurden längst zu Garagen umgebaut, stand Vieh, das Hormels Christian morgens zur Weide trieb. Der Dreschschuppen hatte noch seine ursprüngliche Funktion, und die Schule wurde noch von acht Klassen mit über 100 Kindern besucht. Jeder kann leicht selber feststellen, wieviel mehr sich noch geändert hat.

Und nun zur Geschichte unseres Dorfes!

Die überlieferten Nachrichten aus früher und frühester Zeit sind so spärlich, dass sich nur schwer ein Bild von seiner Entwicklung entwerfen lässt.

Es ist mit Sicherheit erwiesen, dass schon in der Eisenzeit, also in den letzten tausend Jahren vor Christi Geburt, unsere Heimat von Menschen besiedelt war. Allerdings in ganz anderer Weise, wie wir es uns wohl vorstellen. Sämtliche Siedlungen lagen auf den Höhen, die jetzt ausschließlich mit Wald bedeckt sind. Die Täler waren versumpft. Diese Dorfsiedlungen lagen in lichten Eichenwäldern, deren spärlicher Graswuchs für das Weidevieh ausreichte. Eine solche Siedlung muss im Oberwald gestanden haben, die jetzt noch sehr gut sichtbaren Ringwälle, ein Erdwall und ein Steinwall, geben uns Zeugnis davon. Es waren Kelten, die diese Ringwälle vor den von Norden heran drängenden Germanen errichteten. Während der Dünsberg bei Gießen eine mächtige Fliehburg war, in denen Angehörige eines ganzen Stammes Zuflucht finden konnten, stellte unser Ringwall gewissermaßen eine "dorfeigene Anlage" dar. Von drei Seiten war sie durch Steilabhänge von Natur aus gesichert. Nur der Zugang von der Bergseite her musste mit Wall und Graben geschützt werden. Um eine längere Belagerung aushalten zu können, musste unbedingt eine Quelle vorhanden sein. Sie sprudelt am Ende des Erdwalles heute noch so, wie sie es vor 2500 Jahren schon tat. Es hat den Anschein, dass die Ringwälle nie fertiggestellt wurden, denn die Kelten wichen vor den Germanen zurück, ohne viel Widerstand zu leisten. In späteren Zeiten griffen die Siedlungen immer weiter in die Täler hinunter. Die versumpften Teile wurden entwässert und trocken gelegt. So mag schon zu Zeiten der Römer, als unsere Heimat Grenzland war, das Ulmtal eine wichtige Ausfall- und Durchgangsstraße gewesen sein. Die großen Handelsstraßen von Nord nach Süd führten jedoch im Mittelalter noch immer über die Bergrücken (z. B. die Hohe Straße). (Anm. der Redaktion: Genaueres ist unter Keltensiedlung am Oberwald nachzulesen.)

Erst in der fränkischen Zeit um 700 tauchen zum ersten Mal urkundliche Erwähnungen vieler Dörfer In Schenkungsverträgen an das Kloster Lorsch auf. So wird 774 ein Holzhusen im Zusammenhang mit Allendorf und Walsdorf genannt. Ich schrieb damals: “Die Geschichtsforscher sind sich nicht einig, welches Holzhausen gemeint ist." Dieser Punkt dürfte in der Zwischenzeit jedoch eindeutig geklärt worden sein, nachdem Herr Otto Schäfer in der Festschrift zur 1200-Jahrfeier den Beweis dafür erbracht hat. Die Urkunde lautet in der Übersetzung:  "Schenkung des Gerbold in Walestorph (Wallendorf). Im Namen Christi. Am 28. Mai, im 6. Regierungsjahr König Karls, schenke ich Gerbold, dem hlg. Märtyrer Nazarius, dessen Leib im Lorscher Kloster ruht, wo der ehrwürdige Abt Gundeland Vorsteher ist, und wünsche, dass die Schenkung für immer gelten soll. Bestätige sie auch mit aller Bereitwilligkeit: im Lahngau in der Mark von Walehestorph in Holzhausen 50 Morgen, eine Wiese und 4 Hörige. Alle Formvorschriften wurden beachtet. Abgeschlossen im Lorscher Kloster, zu der Zeit, die oben angegeben."

Bis zum 14. Jahrhundert finden wir keinerlei Aufzeichnungen. Eine Urkunde aus dem Jahre 1325 besagt, dass Graf Marquard von Solms den vierten Teil seiner Gerchtsame in den Dörfern auf der Ulm: Holzhausen, Ulm, Allendorf, Daburg und Niedershausen an seinen Vater Hartod von Merenberg verpfänden konnte. Der Grund ist uns nicht überliefert. Ob eine Erbteilung vorlag? Vielleicht hatte er auch beim Kartenspiel verloren. Als Leibeigene waren unsere Vorfahren damals vollkommen rechtlos. Sie hatten den Zehnten zu liefern und Frondienste zu leisten. Außerdem konnte sie der Landesherr verschenken, verpfänden und verkaufen. 1351 hatte Graf Johann von Solms Leute und Güter in Holzhausen und verkaufte dem Wappner Wittekind von Lichtenstein Güter, Leute und Zehnten in Holzhausen. Dazu muss vermerkt werden, dass die Burg der Lichtensteiner schon im Jahre 1280 von den Grafen von Solms und den Dillenburgern zerstört worden war. Sie hatten es mit ihren Räubereien auf der Hohen Straße besonders toll getrieben, so dass der Kaiser Rudolf von Habsburg den Befehl zur Zerstörung gab. Auch der Greifenstein wurde zerstört. Trotz mehrfacher Anfragen der Lichtensteiner, wurde ihnen die Erlaubnis zum Wiederaufbau der Burg nicht mehr gegeben, während mit dem Wiederaufbau des Greifenstein schon 20 Jahre später begonnen wurde.

In der damaligen Zeit war es üblich, dass die Grafen als Lehensträger des Kaisers Niederadelige einsetzten, die ihnen im Kriegsfalle Heeresfolge zu leisten hatten. Dies geschah durch den Greifenstein in den einzelnen Ortschaften seiner Grafschaft. So wird 1397 ein Johann von Holzhusen in einer Urkunde erwähnt, der, wenn auch keine Burg, so doch ein besonders festes Haus inmitten des Dorfes hatte. Außer den Grafen von Solms waren in Holzhausen auch die Adeligen von Leun und Garbenheim begütert. Ein Glied des Ersteren verkaufte im Jahre 1350 sein dort liegendes Gut an den Grafen von Braunfels.

Unsere Vorfahren waren längst zum Christentum übergetreten. Viele Schenkungsurkunden an das Kloster Altenberg beweisen dies. Sie sagen uns aber auch, dass vor allem im Lahntal, aber auch bei uns, Weinbau betrieben wurde, denn unter den geschenkten Gütern befanden sich häufig Weinberge. Noch heute erinnern Flurnamen an die Zeiten des Weinbaues.

Um das Jahr 1556 trat Graf Philipp zu Solms-Braunfels zur lutherischen Kirche über und mit ihm alle Bewohner der Grafschaft nach dem Grundsatz: Cuius regio – eius religio – die Religion des Landesherren ist auch die Religion der Untertanen. Ohne viele Umstände mussten unsere Vorfahren einige Male ihren Glauben wechseln. Als die Spanier im 30jährigen Krieg die Grafschaft besetzten wurden alle wieder katholisch. Als sie von Gustav Adolf geschlagen wurden kam es wieder umgekehrt. Von den in dieser Zeit abgehaltenen Kirchenvisitationen sind uns viele Berichte erhalten geblieben. Sie geben uns interessante Einblicke in das kirchliche Leben der damaligen Zeit. Bei der Visitation mussten Alte und Junge Zeugnis ablegen über ihre Kenntnisse in Katechismus und Kirchenlied. Wer sich etwas hatte zuschulden kommen lassen, wurde bestraft. Hierfür zwei Beispiele, die Holzhäuser Einwohner betreffen. 1578 wurde Siegfried Merkals Sohn bestraft, weil er ohne Rock getanzt hatte. 1608 wurde in Holzhausen Philipp Droß vorgefordert, weil er abergläubische und verbotene Künste betrieben hatte. Seine Antwort lautete: „Ich habe dieses von Förster Claasen zu Heisterberg gelernt". Er wurde mit einem Tag Zuchthaus bestraft. 1597 schloss sich Solms-Braunfels der reformierten Konfession an, welche sich auch zum größten Teil erhalten hat.

Im Mittelalter hatte das Ulmtal sein eigenes Blutgericht am Steimel (Steinmal). Hier fanden sich die freien Bauern der Dörfer zusammen und ordneten das bescheidene Leben der Talbewohner Es ist nachgewiesen, dass 1325 die Siedlung Holzhausen zu diesem Gericht gehörte. Dazu noch die ausgegangenen Ortschaften Mitteldorf und Holzdorf (Helsdorf). 1495 wurde unter anderen Schöffen auch ein Schultheiß Mertin aus Holzhausen benannt, der über das Schicksal der Angeklagten mit entschied. Erst vor etwa 190 Jahren wurde des Ulmtals Blutgericht aufgelöst und in die Amtsstuben verlegt.

Krieg und schwere Zeiten haben vor unserem Dörfchen nicht halt gemacht. Jahrhunderte lang hielt der „schwarze Tod“, die Pest, reiche Ernte mancher Ort ist durch sie ausgestorben (wahrscheinlich auch Hellsdorf und Mitteldorf). Was nicht die Pest ereilte, hatte unter den Kriegsdrangsalen fürchterlich zu leiden. Im Dreißigjährigen Krieg waren es die Spanier, Österreicher und Schweden, die in wechselnder Reihenfolge unser Tal brandschatzen und ausraubten. In dieser Zeit, war der Greifenstein, der von vielen Generationen von Leibeigenen in harter Fronarbeit zu einer mächtigen Burg ausgebaut worden war, die einzig sichere Zufluchtsstätte. In den Greifensteiner Kirchenbüchern, die einzigen, die den Dreißigjährigen Krieg überdauerten, werden folgende Holzhäuser Einwohner genannt: Jost Ring, Joh. Schmitt, Joh. Braun, Peter Rumpf, der Schultheiß Stoffel Fries, Joh. Ohlbrandt, Theis Halsdörfer, Peter Schmidt, Peter Adam und Toas Leyendecker. Sicherlich waren es noch viel mehr; denn diese wurden aus einem bestimmten Anlass genannt. 1648 mit dem .Ende des großen Krieges begann der Wiederaufbau. Auch die Kirchen wurden wieder instandgesetzt und neue Kirchenbücher angelegt. Sie berichten uns, dass schon 1673 die Franzosen auf fürchterliche Weise im Ulmtal hausten und viele der neuerbauten Häuser in Brand steckten. 1674 und 1675 hatten die Bewohner schwer unter den in Quartier liegenden Kurbrandenburgischen und Sächsischen Soldaten zu leiden. 1795 waren es wiederum die Franzosen und 1813 die Russen, die zwar als Verbündete kamen, aber schlimmer hausten, als die vorher durchgezogenen Franzosen.

Aber aus Not und Elend erwuchs das Dörfchen immer wieder zu neuer Blüte. Da über die nun folgende Zeit in etlichen Festschriften berichtet wurde, möchte ich mich auf einige interessante Einzelheiten beschränken.

1825 hatte Holzhausen 65 Häuser und 375 Einwohner. 1834 waren es 68 Häuser und 436 Einwohner. Der Viehbestand belief sich auf: 4 Pferde, 39 Zugochsen, 38 Zugkühe, 50 Milchkühe, 20 Stück Jungvieh, 240 Schafe, 108 Schweine und 26 Zuchtstiere. Trotzdem herrschte immer noch unglaubliche Armut. Zwar hatte Freiherr vom Stein die Leibeigenschaft beseitigt, aber noch immer musste man an den Landesherrn viele Abgaben leisten. Manche suchten ihr Heil in der Fremde, in Amerika, „dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Sie wanderten aus. Noch heute ergreift uns das tragische Schicksal des Auswanderers Peter Muck der im Jahre 1854 mit seiner Frau und 5 Kindern die Überfahrt wagte. Vor der englischen Küste geriet das Schiff in einen gewaltigen Sturm und versank. Nur die 19jährige Margrete wurde an Land gespült und gerettet. Sie kehrte nach Holzhausen zurück und wird gewiss noch älteren Bürgern als Frau Bellersheim in Erinnerung sein.

Die Auswanderung war eine Möglichkeit, der Not zu entgehen. Aber auch die Zurückbleibenden lehnten sich gegen ihr Schicksal auf. Anfang des Jahres 1848, kam es, wie überall in Deutschland, zum öffentlichen Aufruhr gegen die Landesherren. Auch Holzhäuser Bürger zogen mit Sensen, Dreschflegeln und alten Vorderladern bewaffnet zum Braunfelser Schloß. Wie wir wissen, wurde der Aufstand niedergeschlagen und die Anführer bestraft. So musste auch ein Mann aus unserem Dorf seinen Wagemut mit einem Jahr Zuchthaus büßen. Das Opfer war jedoch nicht umsonst gewesen, denn ein Jahr später hörten alle Abgaben und Frondienste an den Fürsten zu Braunfels auf und übrig blieben nur noch die an die königliche Regierung zu entrichtenden, nicht allzu hohen Steuern.

1813 waren wir als Angehörige des Kreises Wetzlar schon preußisch geworden, 1866 wurden es unsere Nachbarn, die Nassauer, auch. Unsere Kirche in ihrer Ursprünglichen Form ist wahrscheinlich im 14. Jahrhundert als Wehrkirche erstellt worden. Die sehr dicken Mauern und sehr hoch liegenden Fenstern lassen diesen Schluss zu. 1896 musste die Kirche wegen drohenden Einsturzes der Kreuzgewölbe im Chor, geschlossen werden. Nach längeren Verhandlungen entschloss man sich zum Neubau. 1898 – 1899 wurde der Turm in seiner jetzigen Form erstellt. Die Kosten betrugen 6.500 Mark und wurden ausschließlich von der Kirchengemeinde getragen. Die Zivilgemeinde entschloss sich zum Kauf einer neuen Glocke und einer Turmuhr. Da die alte Glocke während des Umbauens stark beschädigt worden war, übernahm sie die Firma Rincker in Sinn und lieferte unter Zuzahlung von 533 Mark ebenfalls eine neue. 1899 war alles fertiggestellt.

Um die Jahreswende läuteten sie zum ersten Male. Sie läuteten ein neues Jahr und gleichzeitig ein neues Jahrhundert ein, von dem man sich so viel erhoffte, und das uns in seiner 1. Hälfte mit seinen beiden Weltkriegen so unendlich viel Leid und Elend brachte. Für die 35 Jahre Frieden in der 2. Hälfte wollen wir dankbar sein und hoffen, dass er uns auch weiterhin erhalten bleibt.