Vielleicht hat das in diesem Bericht gebrauchte Wort „entbunden“ zu der Überschrift zu der köstlichen Glosse verholfen, die 3 Tage später in unserer Lokalzeitung erschien.
Wetzlarer Neue Zeitung; Freitag den 18. Mai 1951
Entbindung
Dass die Natur auch im Zeitalter der Atomtechnik gebieterisch ihre Recht fordert, erwies sich an folgender Begebenheit, die sich vor einigen Tagen auf einem kleinem Bahnhof im Westerwald ereignete: Schon seit den frühen Morgenstunden quälte sich der Stationsvorsteher mit seiner "Beamtenkuh" ab, die Mutterfreuden entgegensah. Ob nun die Zeit noch nicht gekommen, oder ob die gynäkologischen Kenntnisse des "Geburtshelfers" zu wünschen übrig ließen. Wie dem auch sei, dass Lämmchen wollte und wollte nicht das Licht der Welt erblicken.
Selbst ständiges Zureden und das persönliche Eingreifen seiner besseren Ehehälfte vermochte den Gang der Dinge nicht zu beschleunigen. Stunde um Stunde verrann, und mit Schrecken gewahrte der Stationsvorsteher, dass in wenigen Minuten der Arbeiterzug auf seinem Bahnhof Eintreffen musste. Konnte er denn seine brave Ziege jetzt im Stich lassen? Das Pflichtgefühl rief ihn jedoch zum Dienst! So ließ er denn den Zug in die Station einfahren und hob schon die Kelle ihn auch wieder abfahren zu lassen, ausgestiegen war nämlich niemand, als ihn in letzter Minute ein Gedanke durchzuckte, der ihn und seiner Ziege vielleicht Hilfe zu bringen vermochte. So ließ er also den "Löffel" wieder sinken und rief, eilig die Wagenreihe entlang laufend, den Fahrgästen zu: "Wer Ziegenverstand hat, möge zu mir in den Stall kommen". Tatsächlich erhob sich, unter verständnisvollem Lächeln der übrigen Passagiere, ein Fahrgast und folgte dem schnell seinem Stall zustrebenden Stationsvorsteher. Der weitere Verlauf der Geschichte ist in wenigen Worten geschildert. Der Mann kam, sah und konnte innerhalb kürzester Zeit die jammernde Ziege von ihrem lebensfrohen Lämmchen und den Herrn Stationsvorsteher von seinen Sorgen entbinden.
Hinzuzufügen bleibt nur noch, dass der Aufenthalt nur kurz war und der Zug fast auf die Minute genau in seinem Bestimmungsort eintraf. Ist es da nicht angebracht, dem Stationsvorsteher und seinem hilfsbereiten Fahrgast, der zwar keinen "Ziegenverstand" hatte offensichtlich aber von Zügen etwas verstand ein Lob auszusprechen?
Wir tun es im Namen unserer Leser!
In Deutschland lachte man, oder besser gesagt, man schmunzelte. Gar mancher Städter mag sich im hastigen Treiben der Großstadt für einen Augenblick nach der Idylle unseres Dörfchens gesehnt haben.
Wahr ist an der ganzen Geschichte, dass die Ziege zu dem erwähnten Zeitpunkt sich zum Lämmer machen anschickte. Alle anderen "Ereignisse" wurden, zumindest vom Bahnhofsvorsteher, energisch bestritten.
Es hätte aber doch sein können.