Dorfgeschichte des Kirchspiels Ulm
Auszüge aus der Artikelserie "Beiträge zur Dorfgeschichte des Kirchspiels Ulm." (Aus "Lieb Heimatland" Beilage zum Wetzlarer Anzeiger Januar 1934) von Schulrat i. R. W. Feuring, Ehringshausen.
Gefunden und aufgeschrieben von Heinrich Jung, bearbeitet und veröffentlicht von Joachim Kohl.
Es ist sicher, dass schon in der neolithischen Zeit (Jungsteinzeit) Menschen über die Berge unserer Heimat gestiegen sind und dem Ackerbau und der Jagd abgelegen haben; der Beweis liegt in dem Steinbeil fest, das in den Hängen bei Greifenstein gefunden wurde und sich im Besitz des Pfarrers Stuhl in Ulm befindet. Die Sohle des Ulmtales war damals mit Auwald bestanden; und er wird sich über die Zeit der fränkischen Landnahme im 6. und 7. Jahrhundert erhalten haben. Diesem Waldbestand verdanken Bach und Tal den Namen; er lehnt sich an das reiche Vorkommen der Ulmus Campestris (Feldulme).
Die Tatsache, dass zur Dorfflur gehörige Gewannen auf einen Personennamen ausgehen, erklärt sich ebenfalls aus der frühen Landnahmen. Als die Nutznießer noch ohne neuzeitliche Familiennamen dastanden und das erste Pflugland nicht im Bereich des Aulehmes im Talgrunde lag. Wir nennen hier nur die Flurnamen "Knittelstück, Hundsbach, Hafersbach, Hudelgau, Rippenstück, Löffelgaß, Simpel, Pinseifen, Betten und Eubelswiese" hinter denen Personennamen wie Cnutil, Huno, Happo, Hudo, Radpod, Liupili, Sindobald, Pinto, Betanun und Autbald gesucht werden müssen.
Es mag ein Haholt gewesen sein, der mit seinen Sippen auf einer Raststätte im oberen Ulmtal sich niederließ und eine Siedlung anlegte, die als Holzhausen in die Geschichte der Jahrhunderte einging. Ein mitteldeutsches Dorf ist wesentlich eine Familiengründung, die Kraft und Bestand aus dem Blutkreislauf der Sippen empfing. In den Einzelverbänden hatten die Dörfer Maßnahmen durchzuführen, die dem Selbstschutz dienten. Dahin gehören vor allem die Mark- und Grenzwehren (die dem Selbstschutz dienten) und die Dorfzäune, die auch in kleinen Resten im Ulmtal vorhanden sind. Es muss immer wieder gesagt werden, dass in der frühen Zeit die neu angelegten Dorfkirchen in vielen Fällen auch den Dorfschutz mit übernahmen. Die wuchtigen Steinmassen des Turmes und des Langhauses dienten in Zeiten der Kriegsnot als Zufluchtsstätte. An die alten Grenzwehren und Kricke erinnert im Bereiche der Holzhäuser Flur die Bezeichnung Wehrholz, die in die frühe Zeit der alten Marken zurückreicht. Es kommen die geschlossenen Dorfzäune hinzu, die das Weichbild der Siedlung nach außen abgrenzten.
Wie sich der Vasallenadel aus dem Stand der Freien aufschwang, so richteten sich auch in vielen Dörfern freie Geschlechter zu erhöhtem Ansehen, die hinsichtlich der Namensgebung denselben Weg beschritten wie der höhere Adel. Es war ein weitverzweigter Bauernadel, der sich zu behaupten wusste und vereinzelt mit dem heimischen Hochadel in urkundliche Beziehungen trat. Urkundlich werden unter anderen erwähnt ein Johann von Holzhausen (1297). Aus den Reihen des Dorfadels kamen die Wäppner, die dem Hochadel Waffenhilfe brachten. Feuring nimmt an, dass Holzhausen im Mittelalter etwa 65 Einwohner hatte.
Das Ulmtal ist Grenzgebiet. Noch heute stehen die alten Hoheitszeichen an der Preußisch-Nassauischen Grenze. Politische Grenzgebiete sind immer Schmuggelgebiete. So war es als das Salzregal zur Übertretung lockte; so war es auch als im Nassauischen der Schnaps billiger war, als im preußischen Kreis Wetzlar. Der Schmuggel nahm mit der Errichtung des Deutschen Zollvereins im Jahre 1834 ein Ende. Neben dem Schmuggelwesen brachte das Grenzläufertum in jeder Form Misshelligkeiten (Diebstahl in Feld und Wald). Als Grenzläufer müssen auch die Leute bezeichnet werden, die in den Ulm Dörfern keinen Einstand haben konnten, weil sie zu arm waren. Noch lebt die Erinnerung an den armen Eisenbach, der in Allendorf eine Frau mit Kindern besaß, drüben in Obershausen wohnte und nur verstohlen bei seinem Weibe einkehren konnte. Er wurde bei jedem Versuch, sesshaft zu werden, ausgetrieben, weil er das Einstandsgeld nicht aufbringen konnte. Hier hat das Jahr 1866 Wandel geschaffen.
Noch im 19. Jahrhundert sah es in unseren heimischen Dörfern primitiv aus. Der Stallmist lag frei im Hofe, wurde beim Regen ausgelaugt und ließ das Schmutzwasser ungehindert in die Dorfgassen strömen. Die Aborte bestanden oft aus Reißig- und Laubhütten, die in jedem Frühjahr erneuert werden mussten und die verwegene Dorfjugend anlockten, die elenden Laubhütten aufflammen zu lassen.
Große Streitigkeiten gab es bei der jährlichen Obsternte. Hervorgerufen wurden sie oft durch die sogenannten Erbenbäume, an denen manchmal 3 bis 4 Parteien beteiligt waren. Das war häufig bei begehrten Obstsorten der Fall, die man bei der väterlichen Teilung nicht einem Kinde zufallen lassen wollte. Erst nach 1789 durften keine Erbenbäume mehr gemacht werden. 1786 kämpfte die Solmsische Landesregierung gegen allerlei Aberglauben mit einer Verordnung an. So wurde das Aderlassen bei Pferden am 2. Weihnachtstage und das bedecken der Gräber mit weißen Tüchern verboten.
Erst die Hungerjahre von 1771 und 1772 redeten eine so eindeutige Sprache, dass die Bevölkerung nun endlich daran ging, den seit Jahren befohlenen Anbau der Kartoffel durchzuführen.