Der Steimel

Das Steinmal – das Blutgericht des Olmental

Ein Bericht von Heinrich Jung und überarbeitet von Joachim Kohl

Wo die Ulmtalbahn das Ulmer Feld durchschneidet, wölbt sich westlich eine Bergkuppe über die Kreisgrenze in das Nassauische hinein, hoch und erhaben weit über die Kreisgrenze in das Tal schauend, doch ohne eine besondere Gedenkstätte. Hier ist das alte Steinmal, eine der ältesten historischen Stätten unserer heimischen Landschaft. Hier teilen sich noch heute vier Gemeinden Grenzen, gerade so, als wollten alle ein Stückchen des einst heiligen Bodens ihr eigen nennen können. Die Ulmer, die Holzhäuser, die Allendorfer und Rodenrother sprechen vom Steinmal als ihrem Grenzberg. Hier eilt die Kreisgrenze vorbei und Flurnamen künden noch heute des Hügels einstige Bedeutung.

Vor mehr als tausend Jahren schauten hier die heiligen Eichen des Wodanswaldes hinab ins Tal, bis der letzte, sagenhafte Wodanspriester alsbald zu seinen Göttern schied. Schon zu seiner Zeit predigte Aidan, der heilige Columbaner Mönch, unter dem Christenkreuz am Himmeling. Die alten Wodanseichen fielen und ihr Holz ward zum Gebälk zur ersten Christenkirche im Olmental.

Das Steinmal stand inmitten der Siedlungen, die sich um die Bergkuppe formten. Aus ihren Huben, Weilern und Marken heraus, erwuchs des Olmentals höchstes Gericht. Am Steinmal fanden sich die Freien des Tals zur Markversammlung, ordneten das bescheidene Leben der Talbewohner und sprachen Recht in Königs und Grafen Namen durch Jahrhunderte. Das Centgericht auf dem Steinmal wurde Blutgericht des Olmentals, das über Leben und Tod entschied, oder „wenn eyner gethan hat wider Ehre“. Sagenhaft bleibt die Schilderung, wie im erwachenden Frühling und an scheidenden Herbsttagen im Kreise der Schöffen des Olmentals über schuldhafte Sünder der Stab gebrochen wurde. Des Scharfrichters finstere Arbeit sei hoch über der Ichelshecke auf dem Galgenberg vollzogen worden, wo die Aasvögel heimisch waren, der Wildeber im Dickicht schnarchte und die Sonne nur in frühen Morgenstunden hineinblickte. Doch nachweislich blieb, dass um 1325 die Siedlungen von Larebach, Holzhausen, Ulm, Allendorf, Niedershausen, Doberg, Mitteldorf und Rollshausen und dazu noch Stockhausen, Biskirchen, Bissenberg, Hundsbach, Hofhausen und Elgershausen zum Ulmengericht genannt sind. Aus ihren Mannen fand sich auch das Schöffenkollegium mit den Fronboten und den herrschaftlichen Schultheißen oder Landesherren selbst, um peinliche oder bürgerliche Rechtsfälle zu entscheiden und in öffentlichen Tagen Bann und Frieden zu verkünden. Die Schultheißen Claßhen und Kolbenhenn aus Allendorf, Peter Snyder aus Greifenstein, Adam Itz aus Biskirchen, Peter Sypell aus Ulm, Mathias zu Holsdorf und Mertin aus Holzhausen, Soehnhen aus Stockhausen, Friedrich Adam und Jakob Volk aus Bissenberg haben am Steinmal über das Schicksal der Talbewohner entschieden.

Jahrhunderte gingen so dahin. Vom Steinmal unter freiem Himmel nahm das Gericht seinen Weg in die Amtsstuben und 1791 wurde das Ulmtaler Blutgericht aufgelöst. Kriege und Seuchen hatten mühsam erbautes Werk im Tal zerstört. Doberg, Hundsbach, Hofhausen, Mitteldorf und Larebach starben aus und von stolzer Macht künden nur noch die Ruinen von Beilstein und Greifenstein. Am Steinmal wurde es still. Wo Wodans Eichen dem Wetter trotzten, wo im Frühling oder Herbst die Schwurhände heilige Eide gegen den Himmel wiesen und das Leben des ganzen Tals Form und Weisung erhielt, wechselt heute das Wild in der Stille. Nur an den sonnigen Hängen bricht der Ulmtalbauer die Erde, wo das Gestein über das kurze Weilen vieler Generationen sinnt.     

Heinrich Jung 1951