Der Großalarm

1956 war unser Jubiläumsverein Gegenstand und Inhalt einer Glosse in der "Wetzlarer Neuen Zeitung".

Wir teilen Ihnen hier mit, getreu dem Goethewort: "Wer sich nicht selbst zum Besten halten kann, ist keiner von den Besten."

Wetzlar, den 18.05.1956

Der verhinderte Großalarm

Als eine der vornehmsten Aufgaben der vielseitigen Feuerwehr gilt seit jeher die Bekämpfung von Bränden. Diese Aufgabe erfordert gewisse technische und personelle Voraussetzungen, die in Hessen durch eine eigene Aufsichtsbehörde ständig überprüft wird. Zu ihr gehören auf der Kreisebene der sogenannte Kreisbrandinspektor und auf Landesebene der Bezirksbranddirektor.

Der Bezirksbranddirektor, der in Wiesbaden beim RP sitzt, ist dafür verantwortlich, dass die ihm unterstellten Wehren im Ernstfall funktionieren. Daher leiten sich sein Recht und seine Pflicht ab, ihre Einsatzbereitschaft bei überraschenden Inspektionsbesuchen zu kontrollieren.

In diesen Tagen kam er auf einer solchen Dienstfahrt auch nach Wetzlar, und machte, begleitet von Beamten des Landratsamtes, von hieraus einen Abstecher in eine Ulmtalgemeinde, deren Namen wir rücksichtsvoll verschweigen. Man suchte den Bürgermeister auf und setzte ihn unversehens davon in Kenntnis, dass in dem örtlichen Sägewerk ein Feuer ausgebrochen sei. Der biedere Bürgermeister, der die Bedeutung der Stunde erkannte, ergriff alle erforderlichen Maßnahmen zur Auslösung eines Großalarms. Als erstes wollte er seinen Ortsbrandmeister über die angenommene Katastrophe verständigen. Dabei ergab sich, dass dieser nicht aufzufinden war und über seinen Verbleib erfuhr man nicht mehr, als dass er in den Wald gegangen sei. Der zweitwichtigste Mann, der Hornist, der durch sein schmetterndes Signal nun die Mannen umso wirkungsvoller zum Einsatz versammeln sollte, erwies sich ebenfalls als nicht erreichbar. Man hörte, er liege im Krankenhaus. Und wie es so ist, wenn erst die Ungunst des Schicksals ein großes Vorhaben überschattet, auch von den doch ansonsten tatfreudigen Feuerwehrmännern war in dieser Stunde, da man ihrer dringender als bei einem gewöhnlichen Brande bedurft hätte, nicht ein einziger verfügbar. Schließlich machte sich der Bürgermeister, der sich keinen anderen Rat mehr wusste, auf den Weg, um eigenhändig die leistungsfähige und gut gepflegte Feuerspritze aus dem Gerätehaus zu holen und an die Brandstätte zu ziehen. Er hätte durch diese Demonstration seines guten Willens vielleicht sogar alles wieder gut gemacht, wenn, ja, wenn er in diesem entscheidenden Moment den Schlüssel zum Feuerwehrgerätehaus hätte auftreiben können.

Der Bezirksbranddirektor und die Wetzlarer Beamten zeigten sich von dem, was ihnen im Verlauf einer guten halben Stunde geboten wurde, nach Gebühr beeindruckt. Sie entfernten sich nachdenklich, nur etwas erleichterter in dem Bewusstsein, dass es sich glücklicherweise eben doch nur um einen Übungsalarm gehandelt hatte.

Man sollte nun nicht nach dem Wahrheitsgehalt der Geschichte forschen. Ganz so ist es bestimmt nicht gewesen.

Tatsache ist jedoch, dass als am 12. August 1964 als im Maschinenhaus des Sägewerks wirklich ein Brand ausbrach, unsere Wehr als erste und in kürzester Frist zur Stelle war und ein Übergreifen auf die Gesamtanlage verhindern konnte.

Damit bestätigte sich wieder einmal das Sprichwort, dass einer verunglückten Generalprobe eine gute Premiere folgt.