Das Leben um 1900 und später

Gefunden und aufgeschrieben von Heinrich Jung, bearbeitet und veröffentlicht von Joachim Kohl

Es war die sogenannte „gute alte Zeit“. Die Schulkinder sangen zu Kaisers Geburtstag „Der Kaiser ist ein lieber Mann“ und an einen Krieg erinnerten nur die Sedansfeuer, die alljährlich zur Erinnerung an den großen Sieg bei Sedan auf dem Dreieck vor dem Wasserbassin abgebrannt wurde. 30 Jahre des Friedens waren über das Land gegangen. Allenthalben blühte der Wohlstand; wenigsten war man mit dem zufrieden, was man hatte. Schon die Beschreibung eines Hauses gibt ein zuverlässiges Bild über die damaligen Lebensgewohnheiten. Da fast alle Häuser dieser Art verschwunden sind, oder umgebaut wurden, lohnt es sich einen Bericht darüber zu geben.

Das damalige Bauernhaus war meisten nur zur Hälfte unterkellert. Der Keller bestand aus einem einzigen Raum. Hier mussten alle Sachen aufbewahrt werden, die sich heute auf verschiedene Kellerräume verteilen. Da lagerten die Kartoffeln und Äpfel, da war vor allem die Brothink, ein dicker Holzständer mit quer durchgesteckten Stangen auf denen die selbst gebacken Brotlaibe auf den Verzehr warteten. Im Käsdibbe schimmelte und faulte der Käse, der öfters mit Molke abgewaschen werden musste. Daneben standen die Fässer für Sauerkraut, Bohnen und Scharbmus.

Das Erdgeschoss war aufgeteilt in den Hausflur, eine kleine Küche und die „gout Stubb“. Die „gout Stubb'' nahm den weitaus größten Raum der Grundfläche ein. Sie war in den meisten Fällen auch gleichzeitig Schlafraum. Hier standen gewöhnlich zwei Betten, in denen die Eltern und die kleineren Kinder schliefen. Bei Tage waren die Betten mit einem Spitzenbetttuch geziert und mit einer Waffeldecke abgedeckt. Der zweistöckige Eisenofen mit herrlichen Schmucktüren sorgte für Wärme. Im ersten Geschoss wurden die Speisen gekocht, im zweiten wurden sie warm gehalten. Er besaß sogar einen Warmwasserspeicher, denn an der Rückwand des Ofens war ein Wasserbehälter, das sogenannte „Ofedippe“ (etwa 10 – 45 l Inhalt) angeschraubt, aus dem von der Küche aus warmes Wasser entnommen werden konnte. Über dem Ofen konnte auf zwei an der Decke befestigten Stangen alles Mögliche getrocknet werden, natürlich auch der Käse, der dann in das Käsdippe wanderte. Auf dem Ofen standen aber auch die Farbdippe. Sie enthielten unaussprechbare Flüssigkeit, die jedoch ausschließlich von Buben sein musste. Mit einem Zusatz von „Inding“ (Indigo) sollen die so gefärbten Strümpfe absolut farbecht gewesen sein.

Die Wände waren natürlich noch nicht tapeziert sondern gekalkt und unter der Decke mit einem roten oder blauen Strich verziert. Wer sie besonders schön haben wollte, betupfte sie noch mit einem Knäuel aus Wollfusseln. Die Wände in der Tischecke zeigten sich als Familienalbum. Da hingen, fein säuberlich gerahmt, Vaters Bilder aus der Soldatenzeit (einmal neben der Kanone und einmal auf dem Pferd oder mit wehendem Helmbusch), die Konfirmationsbilder der Familienangehörigen, der Brautkranz der Mutter, sowie Hochzeits- u. Schulbilder. An der Wand befand sich auch das „Tablettche“, ein Gestell, auf dem Kaffeetassen, Kaffeemühle und Kaffeebüchse leicht greifbar aufbewahrt wurden.

Vorhänge vor den Fenstern gab es allgemein noch nicht. Als einzelne Leute die Fenster mit einfachen Gardinen behängten, waren die Nachbarn recht ärgerlich und meinten, nun dürften sie nicht mehr sehen, was im Hause vor sich gehe.

Der Fußboden war wohl gedielt, aber nicht gestrichen. Die Diele musste am Samstag mit viel Wasser weiß geschrubbt werden. Dann streute man Sand darüber, der vom Wiesecker Sandmann gekauft oder auch in Oberhausen geholt worden war. Er nahm bis zum anderen Morgen die Feuchtigkeit auf. Manchmal verboten auch die Männer das Schrubben am Samstag mit der Begründung, dass von dem vielen Wasser die Diele faul würde. Wochentags genügte das Ausfegen mit einem Ginster- oder Birkenbesen.

Im Winter war die „gout Stubb“ vor allem abends auch Arbeitsraum. Da wurde bei hereinbrechen der Dunkelheit die Steinöllampe angezündet. (Ein Liter Steinöl kostete 20 Pfennig und reichte etwa eine Woche) Jeder war mit einer Arbeit beschäftigt. Frauen und Mädchen mit Spinnrad, Näh-und Strickzeug; die Männer machten Besen, Rechen oder Rispchen. Rispchen waren kleine Körbe aus Haselrinde. Immer hielt der Vater Ausschau nach schönen „Schiene Stecke“, wenn er durch den Wald ging.

Zu erwähnen ist noch, dass häufig unter dem Ofen die Dickwurz für das Vieh vorgewärmt wurde. In der Ecke stand die Kommode, ein halbhoher Schrank, bei dem man eine Quertüre herunter klappen konnte, die dann gleichzeitig Schreibunterlage war In dem dahinterliegenden Fach wurden alle wichtigen Schriftlichkeiten aufbewahrt.

Die Einrichtung der Küche bestand aus einem gemauerten Herd, einem ebenso gemauerten Kessel (Sittkessel), einer Wasserpumpe und einer Schüsselbank (Holzregal, auf dem das Koch- u. Essgeschirr sowie die "Schepplöffel" aufbewahrt wurden). Der Fußboden war, ebenso wie der Hausflur, mit glatten Bruchstein- platten belegt. Über dem Sittkessel befand sich die offene "Daas", ein Rauchfang, durch den man den Himmel sehen konnte. In ihr hingen an zwei rußgeschwärzten Balken Wurst, Schinken und Speck, die so von dem aufwärts strömendem Rauch ganz natürlich geräuchert wurde.

In dem Sittkessel wurde vor allem, wie der Name schon sagt die „Sitt" für das Vieh gekocht. „Sitt“ bestand aus gehäckseltem Stroh und Grummet; hinzugefügt wurde noch alles raue Futter, welches das Vieh normalerweise nicht annahm und viel Wasser.

In der Küche wurden auch die großen Waschtage abgehalten. Zuerst kochte man im Sittkessel eine Lauge mit Asche von Buchenholz. Nachdem sich die Asche auf dem Boden abgesetzt hatte, wurde die Lauge abgeschöpft. Sie war recht scharf und griff Wäsche und Finger stark an. Weißer als weiß war die Wäsche bestimmt nicht. Was ihr noch an Helligkeit fehlte, erhielt die Wäsche auf der Bleiche. Es war Aufgabe der Kinder, sie am Tage mehrmals zu begießen. Gegessen wurde häufig in der Küche.

Mit dem Brot musste man sparsam umgehen, deshalb gab es abends mit schöner Regelmäßigkeit Kartoffeln und Milch. Der Einfachheit halber aß man aus einer Schüssel, dabei achteten jedoch die Kinder sehr darauf, dass jeder an „seinem Teil“ blieb und nicht die guten „Fettkristchen“ den andern hinweg angelte.

Der Hausflur mit dem Treppenhaus war meistens sehr eng. In ihm befand sich vor allem das wichtige „Kellergestell“, eine Art eingebauter Schrank, in dem alles Mögliche aufbewahrt wurde. Obendrauf  stand die Nagelkiste mit Beißzange und Hammer. Neben der Haustüre gestattete das „Hingelsloch“ den Hühnern freien Ein- und Austritt. So ist es verständlich, dass auf dem Kellergestell auch noch häufig die Hühnernester zu finden waren.

Das Obergeschoss hatte die dieselbe Einteilung wie das Erdgeschoss. Manchmal bestanden die Böden aus gestampftem Lehm, wenn das Geld für Holzböden fehlte. In dem kleinen Kämmerchen über der Küche hingen auf Stangen die geräucherten Fleischvorräte. Das große Zimmer war ebenfalls Schlafraum mit Betten und Kleiderschränken.

Selbstverständlich gab es noch keine Matratzen. Welche Freude war es für die Kinder, wenn sie in die hoch getürmten, frischen gestopften Strohsäcke klettern mussten. Und wie schön warm waren diese Strohsäcke, wenn erst einmal die richtige Kuhle hinein gelegen war. Einen Ofen hatte das Zimmer nicht. Die Wärme wurde durch das Ofenloch aus dem Überschuss der guten Stube geliefert. Natürlich bot das Ofenloch auch für die Kinder eine wunderbare Möglichkeit zu horchen, was sich die Erwachsenen an den langen Winterabenden zu erzählen hatten.

Auf dem Speicher lagerte das Getreide, standen Backtrog und  Kuchenbleche. In einem bauchigen Korb, der oben mit einem Deckel verschlossen war wurden die Schnitzen (getrocknete Apfelstücke) und gedörrten Zwetschgen aufbewahrt.

Mit einigen kleinen, aber doch bemerkenswerten Einzelheiten möchte ich meinen Bericht beenden.

Da es in Holzhausen noch keinen Metzger gab, brachten der Greifensteiner und der Leuner Metzger die Fleischwaren nach hier. Es wird berichtet, dass der Leuner Metzger wegen 1 Pfund Fleisch den Weg nach Holzhausen nicht scheute.

Die Brote zum Schulfrühstück durften grundsätzlich nicht bestrichen werden. Zum trockenen Brot gestattete Lehrer Becker höchstens einen Apfel  als Beigabe. Was heute an herrlich belegtem Brot weggeworfen wird, waren für die damaligen Kinder unerreichbare Leckerbissen.

Nun war es wirklich eine gute, alte Zeit? Ruhiger und friedvoller war sie sicherlich.